Die Demokratiebewegung in den internationalen Medien

"Frankfurter Allgemeine Zeitung", Korrespondentenbericht, 2.4.1979

Die britische Agentur "Reuters" vom 5.1.1979 über bevorstehende Demonstrationen

Von Anfang an erregten die Wandzeitungen der chinesischen "Dissidenten" und die unabhängigen Medien mit ihren Forderungen nach mehr Demokratie, Menschenrechten und einer Abrechnung mit der Mao-Ära die Aufmerksamkeit der ausländischen (und vor allem auch der Hongkonger) Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehjournalisten.

1978 gab es noch sehr wenige fest in Peking akkreditierte Korrespondenten, insgesamt weniger als 50. Die meisten von ihnen vertraten Staats- und Parteimedien aus den kommunistischen Ländern, die eher nachrichtendienstliche Aufklärungsarbeit für ihre Regierungen als echte journalistische Berichterstattung betrieben.

Die großen westlichen Nachrichtenagenturen (Reuters, UPI, AP, AFP, ...) waren allerdings vertreten, dazu einige wichtige Leitmedien etwa aus Frankreich, Großbritannien, Japan oder Deutschland. Einzige zugelassene westliche Fernsehstation war damals das CTV (Kanada). US-Medien waren bis kurz vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen (Januar 1979) nur in Hongkong präsent, US-Journalisten kamen nur zu bestimmten Anlässen nach Peking.

Mit der 1978 eingeleiteten Reform- und Öffnungspolitik Chinas wurden deutlich mehr westliche Journalisten in Peking akkreditiert, und immer mehr von ihnen waren der chinesischen Sprache mächtig. Auch persönliche und mediale Kontakte zwischen Ausländern und Chinesen wurden in dieser Zeit viel leichter, bis 1978 hatten Chinesen für private Gespräche und Treffen mit Fremden noch Polizeiverhöre und Gefängnis riskiert.

Das mediale Interesse an der politischen Wende und den gesellschaftlichen Veränderungen in China richtete sich daher ab Ende 1978 sehr stark auf die Regimekritiker, auf die neuen kulturellen Ausdrucksformen und die Veränderungen im Alltag und im Denken vieler Chinesen.

Ende 1978 und Anfang 1979 brachten die Nachrichtenagenturen und großen internationalen Zeitungen fast täglich Berichte aus China, die tagesaktuellen Medien blieben aber oft an den oberflächlichen Ausformungen des "Pekinger Frühling" hängen, nur wenige brachten tiefergehende Recherchen oder persönliche Interviews mit den Akteuren. (So merkte etwa der führende Aktivist Xu Wenli an, dass das Gespräch mit dem Autor Helmut Opletal im Juni 1979 sein erstes mit einem ausländischen Journalisten gewesen ist!)

Viele westliche Zeitungen zeichneten auch Parallelen zu den damaligen Dissidentenbewegungen in Osteuropa, v.a. in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. Auch über repressive Maßnahmen der Regierung, die Verhaftung und Verurteilung prominenter chinesischer Regimekritiker wurde ausführlich berichtet, oft auch in Zusammenhang mit der Frage, wie weit westliche Regierungen Einfluss auf die Entwicklungen in China nehmen sollte.

Oben: "Süddeutsche Zeitung", mit einer Analyse des Korrespondenten Hans Boller vom 21.12.1979 --- Links: "International Herald Tribune", 12.11.1979, mit einem AP-Bericht von Victoria Graham über die Verhaftung von Regimekritikern im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Wei Jingsheng. Direkt darunter steht ein Bericht über die Festnahme von polnischen Dissidenten.

Der Einfluss westlicher Medien

Der australische Sinologe Andrew Chubb hat in einer Dissertation mit dem Titel Foreign Correspondents & Democracy Wall: The impact of the Western media in China, 1978-1979 das damalige Verhältnis zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgerrechts-Aktivisten analysiert, und ist dabei zum Schluss gekommen, dass die Auslandsmedien und ihre Vertreter nicht nur als Berichterstatter, sondern auch als Akteure der Bewegung fungiert haben, zumindest indirekt.

Chubb nennt mehrere Punkte, in denen die westlichen Journalisten entweder durch ihren persönlichen Kontakt oder durch ihre Berichterstattung Einfluss ausübten: Sie hätten in Diskussionen und Gesprächen mit den Dissidenten deren Wissen über politische Freiheiten und Strukturen außerhalb Chinas erhöht; sie hätten in Einzelfällen sogar direkte materielle Unterstützung gewährt (durch Geldspenden oder zumindest hohe "Abbonement-Gebühren" für die Zeitschriften oder durch die Überlassung von Material und Geräten oder von in China nicht erhältlichen Publikationen - erwähnt wird z.B. ein Amnesty-International-Bericht über politische Gegangene in China); in zumindest einem konkreten Fall (durch den US-Kolumnisten Robert Novak) wurde auch ein Kommunikationskanal zwischen den Aktivisten und der KP-Führung geöffnet; und viele Berichte der ausländischen Korrespondenten über die Demokratiebewegung kamen über die chinesischsprachigen Radiosender (wie Voice of America oder BBC) wieder nach China zurück und verbreiteten Nachrichten über Aktivitäten und Ideen des "Pekinger Frühling" im ganzen Land.

Andrew Chubb - der fast ausschließlich die großen englischsprachigen Medien analysiert hat - weist auch darauf hin, dass die Korrespondenten selektiv und einseitig berichteten: Sie verstanden den "Pekinger Frühling" - fälschlicherweise - als überwiegend pro-westliche Bewegung, die die Demokratie und die Freiheiten Europas und Amerikas kopieren wollte. Es wurden oft genau solche Aspekte hervorgehoben und in den Mittelpunkt gestellt, während die Tatsache, dass die Mehrheit der Aktivisten von "sozialistischer" Demokratie sprach, gerne ignoriert wurde. So war es auch nicht verwunderlich, vermerkt Chubb, dass Wei Jingsheng, der mehr als alle anderen die Kommunistische Partei attackierte, zum am meisten zitierten und hofierten Vertreter der Demokratiebewegung wird (S. 44).

Die Berichterstatter aus Frankreich, Großbritannien oder den USA waren auch viel mehr an den Machtkämpfen der chinesischen KP-Spitze und an namentlichen Wandzeitungs-Attacken gegen ranghohe Politiker interessiert als an den inhaltlichen Debatten und persönlichen Beweggründen der Akteure. Und sehr oft wurde verkannt, dass der "Pekinger Frühling" vor dem Hintergrund spezifisch chinesischer Entwicklungen letztlich anders verlief als die verschiedenen Dissidentenbewegungen in Osteuropa.

Beide Seiten - die Bürgerrechtler und die chinesische Führung - instrumentalisierten die internationalen Medien: Die Aktivisten von der "Mauer der Demokratie" erhofften sich - und bekamen auch - ideelle und (gelegentlich) materielle Unterstützung. Und die Parteispitze unter Deng Xiaoping wurde durch die internationale Berichterstattung mit viel Lob überhäuft und letztlich gestärkt: Deng, der offene Diskussionen über Demokratie und Meinungsfreiheit erlaubt, Deng, der nicht nur Wirtschaftsreformen voranbringt, sondern auch unter den konservativen Maoisten aufräumt, ist damals ein Leitmotiv der westlichen Medien.

Hongkong

Die chinesischsprachigen (und auch einige englischsprachige) Medien in der damals noch britischen Kronkolonie Hongkong berichteten besonders ausführlich über die Entwicklungen in China. Die große unabhängige Tageszeitung "Ming Pao" (明报) sowie verschiedene Wochen- und Monatsmagazine verfügten auch über eigene Quellen, die sie mit Fotos, Interviews und Informationen aus Peking, Shanghai oder Kanton (Guangzhou) versorgten.

"Ming Pao" (Hongkong), 29.3.1979, "Menschenrechtsaktivisten wehren sich gegen Unterdrückung"

"Ming Pao" (Hongkong), 22.3.1979, "Deng Xiaoping warnt vor zu extremer Demokratie"

Vor allen einige Zeitschriften wie "Dongxiang" (动向), "Observer" (Guanchajia 观察家), "Zhengming" (争鸣) oder "The Seventies" (70年代) waren sogar auf eine ausführliche Berichterstattung über gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen und politische Insiderinformationen aus der kommunistischen Volkrepublik spezialisiert.

Zeitschrift "Dongxiang" (Hongkong, 1979), u.a. mit einer Diskussion zum verurteilten Dissidenten Wei Jingsheng.

Zeitschrift "Observer" (Guanchajia), Hongkong, 1979, kündigt auf der Titelseite einen Bericht über die Demokratiebewegung in der Stadt Wuhan und über die "Gesellschaft für Aufklärung" an.

Zeitschrift "The Seventies" (Qishi Niandai), Hongkong, 1981, mit einem Holzschnitt von Ma Desheng aus der "Sterne"-Ausstellung von 1980 auf dem Cover.

Schon im Laufe des Jahres 1979 flachte des internationale mediale Interesse an der chinesischen Demokratiebewegung etwas ab. Wirtschaftliche Themen oder Chinas neu definierte internationale Beziehungen rückten stärker in den Mittelpunkt der Berichterstattung.